Bekenntnisse

Wenn ein paar Popel
populistisch werden

Nr. 645 – vom 27. Februar 2015
„NEIN!“ Ein verzweifelter Aufschrei gellte gestern in riesigen Lettern an jedem Zeitungskiosk dieser Republik dem Bürger entgegen. „NEIN! Keine weiteren Milliarden für die gierigen Griechen!“ BILD, als völkischer Beobachter dem Volke alleweil aufs Stammtisch-Maul schauend, forderte seinen Bigida-Pöbel auf, sich selber ein Bild zu machen: Sie sollten mit dieser Schlagzeile im Hintergrund sich selbst fotografieren und es dann dem Blatte zumailen. Auf Bild.de habe ich mir gerade die ersten aberhundert Selfie-Portraits angesehen (ich schreibe dies am Freitag um 4 Uhr früh): Es gehört schon ein gehöriges Selfie-Bewusstsein dazu, die eigene HirnverNEINung so leer-reich abzuBILDen.

Die Deutsche Journalisten-Union hat immerhin heftig Nein gesagt zu dieser Nein-Kampagne, weil so Parlamentarier unter Druck gesetzt werden könnten. Ach wirklich!? Nee, das ist ja nun gar nicht im Sinne der ansonsten so ausgewogenen Berichterstattung und Kommentierung in den glücklicherweise seriösen Leitmedien. Natürlich würden die solche Völkerfreundschafts-fördernden „Bild“-TotSchlagzeilen wie „gierige Griechen“ oder „Raffke-Griechen“ oder „Pleite-Griechen“ nicht gebrauchen. Der Einheitsbrei, der uns von den Meinungs-Maîtres der publizistischen Haute Cuisine angerührt wird, ist dezenter gewürzt, allerdings stets mit derselben adjektivischen Zutat. Oder können Sie sich in den letzten Wochen und Tagen an irgendeinen Kommentar in den meinungsverleitenden Medien erinnern, wo die Schmuddelkinder der neuen griechischen Regierung nicht sofort in die Pfuibaba-Ecke gestellt wurden, nachdem man sie erst einmal als „populistisch“ oder als „links-populistisch“ abgewatscht hatte?

Eine Anklage, gegen die sich Tsipras und Varoufakis auch nicht wehren können: Blöderweise sind sie vom Populum (auf deutsch: vom Volk) gewählt worden. Nebenbei: Wie der urgermanische Begriff „Volk“ – von „viel“ und „voll“ abgeleitet – zunächst nichts anderes bedeutete als “ein voll gemachter Haufen", so war auch das lateinische „populum“ in seiner sprachlichen Herkunft erst einmal nichts anderes als ein „Häuflein“. Falls Sie diese Aussage nachprüfen wollen, sollten Sie als Rechercheur unerbittlich nachbohren – und zwar in einem ihrer Nasenlöcher. Sie werden wahrscheinlich die Erfahrung machen, dass da ein nasenschleimig verfestigtes Häuflein – einst „populum“, dann auch „Popel“ genannt – auf seine Erlösung wartet. Kein Witz, daher hat der Popel seinen Ursprung, also sprachlich basal und nicht nur nasal. Mag sich da ein jeder seine eigenen popligen Schlussfolgerungen aus der Nase ziehen. (Was zumindest den Vorteil hätte, dass man sich auch mal an die eigene Nase fasst.)

Doch hier geht es um Wichtigeres – eben um das populistische griechische Volk, das glaubte, demokratisch selbst entscheiden zu dürfen, wie seine Zukunft aussehen soll. Nun scheint „Demokratie“ für die meisten unserer Meinungsverbreiter neuerdings ein Fremdwort zu sein. Und es ist tatsächlich ein Begriff aus einer Fremde, die uns derzeit immer fremder wird. Hat doch die „Demokratie“ einen griechischen Ursprung, was sie derzeit umso verdächtiger macht. In einer Demokratie, so war zumindest die ursprüngliche Idee, hat nämlich das Volk (griechisch „demos“, lateinisch „populum“, englisch „people“) das Sagen oder zumindest das Wählen. Deshalb ist die Demokratie von vornherein suspekt: Sie ist schon vom Grundgedanken her „populistisch“ – oder, um es auch mal den Griechen klarzumachen: „demosistisch“.

Denn wenn man das populistische, demosistische Volk einfach so power-people-mäßig gewähren lässt, dann kommt es zuweilen auf ganz perverse Ideen. Griechenland ist da ein besonders abschreckendes Exempel, eben weil es beispielgebend sein könnte für andere südliche Länder wie Spanien oder Portugal: Da will sich doch tatsächlich ein Volk nicht mehr der totalen Fremdbestimmung durch ein ausländisches Triumvirat beugen, das bis ins letzte Gesetzesdetail ein Land in die Elendszone eines Dritte-Welt-Landes diktiert hat.

Natürlich gibt es auch hierzulande humanitätsduselnde Griechen-Versteher, die behaupten, dass diese Troika nicht die geringste demokratische Legitimation habe. Aber das ist plumpeste Demagogie (also populistische Volks-Aufwiegelung): Schließlich agiert die Troika im Sinne der stärksten europäischen Macht – und diese Allmacht wird repräsentiert durch die deutsche Kanzlerin und ihren Schatzkanzler Schäuble. Und niemand kann behaupten, dass die beiden nicht ganz demokratisch gewählt worden wären - zwar nicht vom griechischen Wähler, dafür aber vom deutschen. Und an diese deutsch-demokratische Entscheidung haben sich die Griechen gefälligst zu halten.

Alles andere wäre – na, was? ­Jawoll: – populistisch! Als Volk – also als „populum“ – sind die Griechen für jeden deutschen VolksgeBILDeten ohnehin nur ein popliges Volk. Beliebige Popel, die wir nach Belieben verspeisen dürfen.


PS. Ich stehe wieder am 1. März auf der Bühne – um 18 Uhr bei der „Distel“ am S-Bahnhof Friedrichstrasse.