Bekenntnisse

Bitte speichern Sie mich
auf Vorrat, Herr Minister!

Nr. 651 – vom 16. April 2015

Über 300 Wochenschauer ist es her: Damals im April 2007 habe ich Wolfgang Schäuble, dem damaligen Minister für deutsche Innereien, einen vertraulichen Brief geschrieben. Durch eine Indiskretion wurde er dann doch einer beschränkten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zugegeben: Diese Indiskretion habe ich selbst begangen; schließlich bin ich mein eigener Whistleblower. Heute – fast auf den Tag genau sieben Jahre später – habe ich diesen Brief umaddressiert und hie und da aktuell ergänzt.


Sehr geehrter Herr Minister de Mazière!

Ich schreibe Ihnen diese Zeilen als Solidaritäts-Adresse. In diesen Tagen wird in etlichen Gazetten öffentlich Anklage gegen Sie erhoben, mit der vollkommen abstrusen Behauptung, Sie würden ein „rechtsstaatliches Trauerspiel“ (SZ) veranstalten – gemeinsam mit dem sozialdemokratischen Justiz-Adlatus Heiko Maas, der auf Anordnung seines Chefs bei Ihnen die Rolle des Sidekicks übernommen hat.

Ich jedenfalls stehe voll auf Ihrer Seite. Ja, ich will auf Vorrat gespeichert werden. Und ich darf meiner Hoffnung Ausdruck geben, dass Sie nicht nur meine Handy- und Internet-Daten bei der Speicherung berücksichtigen, sondern auch meine programmatischen Aussagen auf der Kabarett-Bühne. Bei meinem reichlich zu entrichtenden Steuer-Obolus kann ich wohl erwarten, vom Verfassungsschutz einen anständigen Mitschnitt meiner Veranstaltungen zu bekommen.

Schade finde ich nur, dass die E-Mail-Verbindungen (vorerst) bei der Datensammlung ausgenommen werden. Ich hätte überhaupt nichts dagegen, wenn auch meine elektronische Post von Ihnen mitgelesen wird. Schließlich bin ich ein Autor. Ich will gelesen werden. Und wenn Sie meine Telefone überwachen, freut mich das. Ich brauche Zuhörer. Ich bin keiner von diesen Heimlichtuern, die dauernd den Schutz ihrer Intimsphäre reklamieren und für die jegliche Ausspähung der persönlichen Daten ein rechtsstaatliches Pfuibaba ist. Einige zetern sogar herum, dass sie solche Horch&Guck-Aktionen an Stasi-Zeiten erinnern. Da kann ich nur sagen: Na, und? Man hört man doch oft genug aus dem Osten, dass nicht alles schlecht gewesen sei in der DDR. Was soll daran problematisch sein, wenn man an bewährte Traditionen anknüpft? Jeder Staat muss doch das Recht haben, sich vor seinen Bürgern in Sicherheit zu bringen. Zu Recht ist die Staatssicherheit Ihr oberstes Ziel. Was dem real observierenden Sozialismus recht war, ist dem BND und dem Verfassungsschutz tendenziell nicht unbillig. Was zusammen abhört, wird zusammen wachen.

Der Bürger soll wissen, daß da immer einer ist, der ihm zuhört. Dieses lauschige Gefühl der Geborgenheit, das ist es doch, was so mancher Ossi nach der Wende schmerzlich vermißt hat. Was immer man gegen die einstige DDR sagen mag, eins zumindest musste man ihr fairerweise lassen: Damals wurde der einzelne Bürger mit seiner Meinung und mit seinen geheimen Gedanken noch ernst genommen vom Staat. Wenn der DDR-Insasse in irgendeiner Weise mit dem Staat oder mit der Partei unzufrieden war und das im vertrauten Kreise seiner Kollegen geäußert hat... er konnte doch sicher sein: Einer ist dabei, der hört auch wirklich aufmerksam zu.

Und genau an diesem Punkt setzen Ihre Überlegungen als Minister für das gesamtdeutsche Innere an. Man muss sich wieder dem Menschen zuwenden und ihm Gehör schenken. Was heißt da: Generalverdacht? Das ist nichts anderes als generelle Fürsorglichkeit.

Deshalb, sehr verehrter Herr Minister, sollen Sie wissen, daß ich an Ihrer Seite bin in Ihrem Kampf für mehr Mitmenschlichkeit in dieser Gesellschaft. Auch wenn keiner sonst Sie versteht. Ich verstehe Sie!

Aber – bitte!!! – behalten Sie das für sich. Dieser Brief ist streng vertraulich, denn meine Klientel ist leider ziemlich intolerant. Die würde mich sofort als Gesinnungs-Verräter brandmarken, wenn irgendwie herauskäme, daß ich zu Ihnen im engeren, zwischenmenschlichem Kontakt stehe.

Nun ja, was soll ich mich bei Ihnen über meine irregeleitete Kundschaft beschweren. Sie kennen die zur Genüge. Deshalb führe ich Ihnen diese Leute regelmäßig zu. Wer sich heute noch heimlich ins politische Kabarett schleicht und dann auch noch zu mir, der steht zu Recht unter Generalverdacht, ein „latenter Gefährder“ zu sein (um es in Ihrem Fachjargon auszudrücken). So was gehört verschärft observiert.

Deshalb habe ich ja im Auftrage des Verfassungsschutzes mein Lachdienstleistungsgewerbe gegründet, um solche Elemente in Scharen aus ihren Löchern ins Kabarett zu locken und Sie dann Ihnen zu überlassen zwecks lückenloser Überwachung.

Wenn das allerdings herauskäme, wäre es für mich extrem geschäftsschädigend. Und von irgendwas muß ich auch leben. Für den Verfassungsschutz arbeite ich schließlich seit Jahrzehnten auf rein ehrenamtlicher Basis. Ich denke, dass ich mittlerweile mal eine größere Prämie verdient hätte. Vom Bundesverdienstkreuz will ich erst gar nicht reden.

Für heute will ich schließen und mich mit kollegialen Staatsschutz-Grüßen von Ihnen verabschieden. Schreiben Sie mir doch auch mal gelegentlich – am liebsten auf mein Konto.

Ihr treu ergebener
Martin Buchholz


PS. Zum endgültig letzten Mal in Berlin zeige ich mein aktuelles Programm „Nachspielzeit 2015“ am Sonntag um 19 Uhr im Kabarett-Theater „Distel“ am S-Bahnhof Friedrichstraße.