Buchholzens
 

Satire-

Letter


Der etwas andere
Kommentar

Martin Buchholz





Aufstand und Anstand

Nr. 722 – vom 8. Februar 2024

 

Anstand und Aufstand

 

I.

Eigentlich könnte das Leben doch recht schön sein, denke ich mir zuweilen. Und ich gebe mir oft auch Recht in dieser Einschätzung. Nun ja, zugegeben, manchmal ist das Leben auch weniger schön. Aber daran hat man sich irgendwann gewöhnt, wenn man etwas älter wird. Also daran, dass der Himmel nicht ständig voller Violinen hängt. (Für etwas jüngere Leser: Dies war eine Anspielung auf ein altes Operettenlied „Und der Himmel hängt voller Geigen“ – heute schlimmstenfalls noch von André Rieu grinsgrimassig verfidelt. Mir kommt dabei ein altes Kinderlied in den Sinn „Weißt du, wieviel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt“. Von einer Unzahl an Streichinstrumenten war dabei nie das Gesinge, aber das würde auch jeden Geiger-Zähler überfordern.)

 

Ich hatte Ihnen kurz vor Sylvester ein Neujahrsgedicht von mir zugemutet, das nicht gerade von Zuversicht strotzte, was die anstehenden 2024er Tage anging. „Kotzalledem!“, schrieb ich – und einige Leserinnen und Leser schrieben mir zurück, dass sie diese trutzig-rotzige Parole in ihren Wortschatz übernehmen würden.

 

Immerhin hat sich seither einiges bewegt, weil wir uns bewegt haben – als sich viele von uns auf die Straße hinausbewegt haben, um ein Zeichen zu setzen gegen die grassierende Dumpfsinnigkeit. Plakativ wurde vielfach eine Botschaft verkündet: „Wir sind mehr!“ Sind wir. Auch wenn diese Auskunft nicht ausreichend ist. Wir müssen noch mehr werden. Noch mehr! Noch mehr! Und noch mehr!

 

II.

Seit Jahrzehnten schreibe und rede ich gegen die neo-nazionalistische Verblödung an. „Stolz, ein Dumpfer zu sein“: Das war der Titel eines meiner Programme, als nach der Wende in Deutschlands nahem Osten sich plötzlich bei viel zu vielen eine Wendewilligkeit zeigte, die ich nicht vermutet hätte: Eine Wende rückwärts in eine angeblich längst vergangene braune Sumpfigkeit. Man wendet sich um und blickt sehnsuchtsvoll retour. Und plötzlich sieht man wieder eine Zukunft vor sich, von der wir glaubten, dass sie längst der Vergangenheit angehören würde. 

 

Nichts von wegen: „Und der Zukunft zugewandt“ (wie es einst in der DDR-Hymne von Johannes R. Becher hieß, die man dann später auch nur leise mit summen durfte, weil der Liedtext für das Politbüro aus der Mode geraten war.) Im Gegenteil. Auch die inoffizielle westliche Treuhand-Hymne – die den Ossis von ihren neuen Vormündern vor gesummt wurde, hatte einen ähnlich nostalgischen Sound „Rückwärts dem Gestern zugewandt“. 

 

Da wir – Harriet, meine Liebste, und ich – als ostwärts streunende West-Berliner schon seit der Wende für lange Monate des Jahres in vorerzgebirgischen Gefilden hausen, haben wir das miterlebt, was etliche unserer Nachbarn damals erleben mussten. In den wilden kapitalistischen Nach-Wendejahren galt als oberstes Gebot, dass jegliches gesellschaftliche Eigentum so schnell wie möglich zu privatisieren wäre. Dafür gab es die Treuhand, die im Namen des Alteigentums für eine altertümliche Rückentwicklung sorgte – meist für das Maximal-Gebot von einer D-Mark. Das Ergebnis: Die Menschen, die damals für die ersehnte D-Mark auf die Straße gegangen waren, saßen nun selbst massenhaft auf derselben innerhalb ihrer östlichen D-Markationslinien.

 

III.

Und was war die Schlussfolgerung, nicht nur bei etlichen unserer sächsischen Bekannten, sondern auch bei anderen östlichen Menschen, mit denen sich nach dem Mauerfall unsere Wege kreuzten? (Ich gestehe, dass wir uns als Wessis ebenfalls im Osten heftig bereichert haben: Etliche tolle Menschen haben wir zu unserem Freundeskreis dazu gewonnen.) In Kurzform hörte sich das Fazit vieler enttäuschter neuer Bundesbürger etwa so an: „Mag sein, dass wir früher in der DDR keine wirkliche Demokratie hatten. Aber was haben wir jetzt? Eine Diktatur des Geldes. Demokratie ist das jedenfalls keine.“

 

Und dann wird es in der Diskussion etwas mühsam. Denn wie elendig das demokratische System auch oft genug funktionieren mag (und ich als satirischer Schmarotzer lebe ökonomisch davon, die Schwerstmacken dieses Systems anzuprangern), so ist diese grundgesetzliche Ordnung doch jeden Aufwand wert, um gegen alle und jeden verteidigt zu werden. Und zwar von uns! Von wem sonst? 

 

Und warum? Weil sie vielleicht nicht das Beste ist, was wir haben, aber auch keineswegs das Schlechteste. Das Beste werden wir wahrscheinlich nie bekommen, aber wir können mit dafür sorgen, dass wir das Bessere im Nicht-ganz-so-Guten erstreiten. Und dafür lohnt es sich auf jeden Fall, immer mal wieder auf die Straße zu gehen.

 

Allen, die den aufrechten Gang noch immer für eine menschenmögliche Bewegungsform halten, sei es hiermit empfohlen, sich immer mal wieder entsprechend zu bewegen. Auch der Schreiber dieser Zeilen muss sich gelegentlich selbst einen sanften Arschtritt geben zwecks notwendiger gesellschaftlicher Erhebung. Um unbequem zu bleiben, braucht es wohl ein regelmäßiges geistiges Training gegen die eingesessene Bequemlichkeit. Ein gewisses Steh- und Gehvermögen ist da bestimmt hilfreich. 

 

(Übrigens: Fall Sie sich mal wieder zu Buchholz Ins Theater bewegen wollen, weiter unten stehen die vorläufigen Termine meiner Vor- und Nachlesungen unter dem Titel „Aus meinen gestammelten Werken“. Sehr viel mehr Termine werden es wohl auch nicht werden, da ich nicht vorhabe, den früheren Tournee-Stress wieder auf mich zu nehmen.)

 

Es grüßt Sie herzlich und hirnlich

Ihr Martin Buchholz

 

PS. Wenn Sie diesen Satire-Letter an Freunde, Verwandte, Bekannte weiterleiten wollen, dann tun Sie das. Zu abonnieren ist er kostenlos unter: 

https://www.martin-buchholz.de/newsletter/anmelden.php

 

 Meine vorläufigen Auftritts-Termine in diesem Jahr:

 

(Den Auftritt in der Kulturfinca Son Bauló, Mallorca, am Sonntag, 11.2.2024, mußten wir leider streichen). Ansonsten:

 

Am 7.4. in der "Herkuleskeule", Dresden, Tel. 0351 49255

 

Am 13.4. im „Studio 7“, Panketal bei Berlin, Tel. 030 47 48 66 55. 

 

Am 26.4. im „Capitol“, Königs-Wusterhausen, Tel. 03375 469777 

 

Am 27.4. in der „Kulturscheune Ferch“ am Schwielowsee, Tel. 033209-80743

 

Am 18.5. im „Lustspielhaus", Hamburg, Tel. 040 555 6 555 6

 

Am 1.12. und 8.12. bei den "Wühlmäusen" in Berlin, Tel. 030 30 67 30 11

 

 

 

Sie haben diesen Newsletter mit der E-Mail-Adresse ###EMAIL### abonniert. Wenn Sie sich austragen lassen wollen, folgen Sie diesem Link: https://www.martin-buchholz.de:443/newsletter/abmelden_speichern.php?we_unsubscribe_email__=###EMAIL###.

 

Impressum: https://www.martin-buchholz.de/impressum.php 

Datenschutz: https://www.martin-buchholz.de/datenschutz.php