Bekenntnisse

Warum mir Gauck so sympathisch ist

Nr. 537 – vom 23. März 2012
Unser Staatsoberhaupt Nr. 11 hat sich soeben frisch eingeschworen, so wahr uns Gauck helfe! Als Eid-Abnehmer war der Bundestags-Schichtleiter Lammert zugange, der Gauck dabei eine Original-Ausgabe des Grundgesetzes aus dem Jahre 1949 vor die Nase hielt. Inzwischen ist das Original allerdings weit über hundertmal entscheidend verändert worden. So ist ein Schwur, der auf diese Erstausgabe geleistet wird, genau genommen eine Fehlleistung. Aber man kann sich beim Schwören schließlich auch mal vertun. Man wird sich in Deutschland ja wohl noch verschwören dürfen.
 
Lammert erinnerte die verschworene Gemeinschaft, die sich vor ihm versammelt hatte, an die bescheidenen Bekundungen Gaucks, daß er weder ein Supermann sei noch ein fehlerloser Mensch. Insofern wird eine gewisse Kontinuität gewährleistet, denn sein Amtsvorgänger hat sich ja ebenso in die Primatenordnung eingereiht: „Man ist auch nur Mensch“, hatte er im Interview versichert. Da schwang ein gewisses Bedauern mit, als müsse er sich dafür schämen, „nur Mensch“ zu sein und nicht irgendetwas Besseres. Ein Gauck zum Beispiel. Aber der will nun plötzlich auch „nur Mensch“ sein, nachdem er zum Nationalheiligen gekürt worden ist. Das ist wohl eher die Koketterie eines Messias, der weiß, daß ihm keiner das Wasser reichen kann. Sonst würde er glatt über das Wasser wandeln.
 
Das könnte jetzt so klingen, als hätte ich etwas gegen Herrn Gauck. Nein, bitte mißverstehen Sie mich mal wieder richtig. Der Mann ist für mich keineswegs ein Unsympath – im Gegenteil. Ich kenne ihn persönlich nur flüchtig. Wir haben mal vor ein paar Jahren gemeinsam eingesessen in einer Talkshow. Hinterher haben wir uns bei zwei, drei Gläsern Wein gepflegt gestritten. Der Mann ist  inzwischen 72 Jahre alt, aber schon damals verfügte er über eine profunde Altersweisheit. Und großzügig tat er mir diese Weisheit kund, indem er also zu mir sprach: „Herr Buchholz, für mich sind Sie ein jugendlicher Wirrkopf.“ Nun bin ich gerade mal zwei Jahre jünger als Gauck. Will man es mir da verdenken, daß ich mich geschmeichelt fühle, wenn mir ein Quasi-Altersgenosse neidvoll eine pubertäre Jugendlichkeit bescheinigt. Der Mann kann mir gar nicht unsympathisch sein. Ja, er ist der Präsident meines Herzens!


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Apropos Jugendlichkeit. Ich habe auch eine regelmäßige Kolumne in einer Zeitschrift für Kids. Die heißt „welcomX – das multicoole Jugendmagazin“. Das kostenlose Blatt wendet sich besonders an Jugendliche, deren Eltern zugewandert sind (so erscheinen einige Artikel auch auf türkisch). „Mut gegen rechte Gewalt“ ist das Hauptthema im neuen Heft. Dazu hat sich Gauck in seiner Antrittsrede auch durchaus denk-würdig geäußert. Er warb um mehr Mut im Kampf gegen den Rechtsextremismus. "Eurer Hass ist unserer Ansporn", sagte Gauck, an Rassisten und Extremisten in Deutschland gerichtet. "Wir schenken euch auch nicht unsere Angst."
 
Um zu zeigen, daß auch ich gelegentlich fast-präsidiale Mahnworte zu Papier bringen kann, hier meine Kolumne aus dem neuen Heft von „welcomX“:


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Macht den Mund auf!


Zivilcourage – braucht man so etwas überhaupt in Deutschland? Es handelt sich ja um ein Wort, das in den Ohren eines braven deutschen Bürgers erst einmal ziemlich undeutsch klingt. Ist es auch. Es ist eindeutig ein Begriff mit Migrationshintergrund. Die Zivilcourage ist in die deutsche Sprache zugewandert – und zwar aus dem Französischen als „courage civique“. Für die meisten ist das noch immer ein Fremdwort. Ein Begriff, den sie nicht begreifen.
 
Gemeint ist der Mut zum eigenständigen Denken und Handeln. Der Mut zum Eingreifen aus eigener Verantwortlichkeit, wo immer auch Unrecht geschieht. Und das ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit, obwohl es sich doch von selbst verstehen sollte, dass man anderen Menschen hilft, denen Unrecht geschieht. Und brutale Gewalt gegen wehrlose Opfer ist nur eine Form des Unrechts, allerdings die schlimmste.
 
Diese Brutalität muss keineswegs immer handgreiflich sein. Auch Worte können schwer verletzen. Ich erinnere mich  an eine Szene, die ich auf dem Bahnhof von Magdeburg erlebte. Ich hatte im Zug, aus Berlin kommend, eine Journalistin aus Mozambique kennengelernt. Eine fabelhaft deutsch sprechende Frau dunkelster Hautfarbe. Als wir gemeinsam die Treppe am Bahnhof hinaufstiegen, rempelte mich ein älterer deutscher Normalbürger an, der aus der Gegenrichtung kam. „Treibst du’s mit dieser Niggerfotze?“, knurrte er beim Vorbeigehen. Ich war so perplex, daß ich nicht gleich reagiert habe. Noch heute schäme ich mich dafür. Meine Begleiterin meinte nur: „Lassen Sie’s gut sein. Ich bin’s gewöhnt.“
 
Doch wie kann man etwas gut sein lassen, was so abgrundtief bösartig ist. In jenem Moment der hasserfüllten Aggression gegenüber einer Schwarzen (und zugleich auch gegen mich) hatte meine Zivilcourage einen schlimmen Aussetzer.
 
Nein, wir müssen selbst den Mund aufmachen, wenn blöde Brutalos das Maul aufreißen. Auch wenn auf Schulhöfen irgendwelche Dumpfhirne andere als „Opfer“, als „Jude“, als „Schwuler“ verbal vernichten wollen, darf man nicht schweigend darüber hinweghören. Sonst wird man zum Mittäter, denn bei der verbalen Vernichtung bleibt es nicht.
 
Ich weiß, es ist nicht ganz einfach, sich in solchen Augenblicken nicht feige davonzuschleichen. Aber wer hat gesagt, dass Zivilcourage etwas Einfaches sei. Es ist, um den ollen Bert Brecht leicht abgewandelt zu zitieren, das Einfache, das schwer zu machen ist. Machen müssen wir’s trotzdem.
 
Wir müssen uns selber Mut machen. Sonst macht es keiner.