Bekenntnisse

Vermischte Nachrichten

mit gemischten Gefühlen

Nr. 576 – vom 22. März 2013

Anfang der Woche erreichte mich eine E-Mail, die ich verspätet aus dem Spam-Eimer fischte, wo sie aus virtuell-geheimnisvollen Gründen gelandet war (eine elektronische Vorzensur meines Post-Eingangs, die ich seufzend erdulde). Man fragte mich an, ob ich anläßlich der Proteste gegen den Abriß der Mauer an der East-Side-Gallery nicht auch etwas kundgeben wolle. Nun hatte die Aktion ja an sich schon einen hohen satirischen Wert. Ging es doch darum, daß einzelne Stücke der Rest-Mauer entfernt werden sollten, um einen Übergang zu schaffen zu Luxus-Apartment-Bauten, die ein Groß-Kapitalist auf dem Grundstück dahinter plant. Endlich erkannten die Berliner den Sinn dieses antikapitalistischen Schutzwalls. Wer hätte je geglaubt, daß Tausende von Ossis und Wessis gemeinsam gegen die Maueröffnung demonstrieren. Da konnte ich nur noch nostalgisch seufzen: Zu spät, zu spät...


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Am Dienstag eine sehr traurige Nachricht: Ein guter Kollege ist gestorben. Peter Ensikat, ein feiner Mensch in jedem Wortsinne. Auch seine Ironie war fein, geschult an den Hintersinnigkeiten des DDR-Kabaretts, wo ja satirischer Klartext nicht möglich war. Bei den wenigen guten Kabarett-Schreibern wurde dieses Handicap ausgeglichen durch ein listig pointiertes Spiel der Doppeldeutigkeiten und versteckten Gemeinheiten. Darin war Peter Ensikat ein unbestrittener Meister. Offene Zyne und bösartige Häme, wie sie im Westen einst besonders Wolfgang Neuss kultivierte (bei dem ich dann später Azubi wurde), waren Peter ohnehin wesensfremd. Und dennoch konnte er als gestandener Moralist auch böse werden in seinen Texten. Zustände, die ihn verletzten in seinem Gerechtigkeitsempfinden, konnte er durchaus scharf verletzend mit Namen und Hausnummer kritisieren. Wenn Wowereit in einem Gedenkwort schreibt: „Es ging ihm nie um verletzende Komik...“, dann ist das für einen Satiriker eigentlich eine üble Nachrede.

Auch in anderen freundlich gemeinten Nachrufen wurde Klischee auf Klischee gehäuft. Im „Tagesspiegel“ wird beschrieben, daß Peter eigentlich immer etwas grau und ungesund aussah und dann schlußgefolgert: „Ein Kabarettist von urgesundem Aussehen ist eine tendenzielle Geschmacklosigkeit... Sein Beruf ist per se ein Mißtrauensantrag gegen alle Gesundheit, alle Selbstgewissheit...“ Und schließlich: „Kabarettisten (...) sind zugleich die größten Melancholiker.“ Die alte vorgestanzte Nachruf-Schablone vom traurigen Clown, dessen Tragik es ist, sein Leiden an dieser Welt mit einem aufgeschminkten Dauer-Lächeln zu kaschieren.

So viel nachgerufenen Trübsinn hat der Peter Ensikat, den ich kannte, wahrlich nicht verdient.


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Gerade ist in den USA ein Dokumentarfilm erschienen mit dem Titel: „The Unknown Known: The Life and Times of Donald Rumsfeld“. Anlaß ist der Irakkrieg, der sich in diesen Tagen zum zehnten Mal verjährt hat. Dieser Krieg wurde ja begonnen in dem sicheren Wissen von etwas Ungewissem – eben the unkown known –, daß nämlich Saddam Hussein irgendwo in den weiten Wüsteneien seines Reichs Massenvernichtungswaffen gebunkert haben sollte. Damals konnte die US-Regierung nicht ahnen, was ansonsten alle Welt wußte. Hatte doch der hinterhältige Diktator diese Massenvernichtungsmittel gemeinerweise schon vorher massenhaft vernichten lassen. Und das alles nur, um die Amerikaner hereinzulegen. So hatte er ihnen niederträchtig wie er war in dreister Weise den Kriegsgrund rauben wollen.

Daß die US-Regierung auf eine solch unerhörte Provokation in aller Härte reagieren mußte, war all jenen klar, die auf die unverbrüchliche Freundschaft mit dem amerikanischen Brudervolk eingeschworen waren. Dazu gehörte auch Angela Merkel, die sich als frühere FDJ-Sekretärin mit unverbrüchlicher Freundschaft zu einem Brudervolk auskannte. Nur, daß sie inzwischen das Brudervolk gewechselt hatte. Sie wäre ja damals am liebsten mit den Amis in den Irak einmarschiert. Blöderweise war sie zu jener Zeit noch nicht Kanzlerin, weshalb sie ohnmächtig zusehen mußte, wie die damalige Bundesregierung ihren Freund George Bush und seinen Kriegsminister Rumsfeld schmählich in Stich gelassen haben.

Diesen Donald Rumsfeld hatte man in unserem Old Europe meist nur als polternden Komißkopp wahrgenommen. Doch ich hatte schon früh erkannt, daß sich hinter seiner betonharten Stirn das philosophische Hirn eines großen existentialistischen Dichters und Denkers verbarg. Im US-Magazin „Newsweek“ fand ich damals einen Text aus Rumsfeldscher Feder zum Thema unergründlicher Kriegsgründe. Gedanken über das bewußte Nichtwissen, deren Bedeutungsschwere und Sinnentiefe jeden abendländischen Intellektuellen in ein abgründiges Grübeln versetzen mußte.

Ich hatte mich erkühnt, diesen Prosa-Text aus dem Prosaischen ins Lyrische zu transponieren. Im freien Zeilenfall war die Kühnheit, ja, die Unerhörtheit dieser philosophischen Eingebung besser zum Klingen zu bringen:

There are known knowns.
These are things
we know that we know.
There are known unkowns.
That is to say, these are things
that we know we don’t know.
But there are also unknown unknowns.
These are things
we don’t know we don’t know.

Die expressive Wucht und die dichterische Schönheit dieser Worte haben mich tief berührt. Eine philosophische Lyrik, die sich in ihrer ganzen Heideggerschen Unerklärlichkeit wohl nur im Ur-Text offenbart. Wie könnte man die minimalistische Kargheit eines Sprachbildes wie „unknown unknowns“ in ein deutsches Know-how übersetzen? Ich wagte es dennoch. Allerdings mußte ich mich mit einer etwas freieren Nachdichtung behelfen, die zwar nicht den lyrischen Tonfall, aber doch den Sinn rettete, sofern da einer gewesen sein sollte:

Da gibt es ein gewisses Wissen.
Ein Wissen
von dem wir wissen, wir wissen’s.
Und es gibt ein gewußtes Unwissen.
Ein Ungewisses,
von dem wir nichts Gewisses
nicht wissen,
dies aber wissen wir ganz gewiß.
Und es gibt ein ungewisses Nichtwissen.
Ein Un-Gewissen,
mithin ein Gewissen,
von dem wir nichts wissen.
Aber das wissen wir nicht.
Und wollen’s nicht wissen.

Sie merken: Im Deutschen geht allein durch den Mehrverbrauch an Sprache etwas von der klaren Umnachtung des Original-Textes verloren. Wobei die Frage auftaucht: Was ist eigentlich das Original? Ich will hier wahrlich keine Plagiats-Beschuldigungen gegen Donald Rumsfeld erheben – das wäre mir zu gefährlich; wer will schon in sein Schußfeld geraten... – aber könnte es nicht sein, daß dieser deutschstämmige Donald sich von einem meiner Bücher hat inspirieren lassen?

Schon in meinem Machwerk „Wir sind, was volkt“ habe ich mich im Rumsfeldschen Sinne mit dem Wissen und dem Ungewissen beschäftigt. Mein Fazit war, daß man in unserem Lande eher mit dem Ungewissen rechnen muß als mit dem Gewissen. Denn zu einem Gewissen gehört zunächst ein gewisses Wissen – und davon will man meist gar nichts wissen. Man vertreibt das Wissen – hinfort ins Ungewisse. Also heißt es: Geh, Wissen!




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PS. 
Im März bin ich  bei den Berliner „Wühlmäusen“ mit meinem Programm „Kassandra, übernehmen Sie!“ jeden Sonntag um 16.30 Uhr auf der Bühne – http://www.wuehlmaeuse.de

Näheres siehe Tourneeplan