Bekenntnisse

Einmal Zukunft und zurück:
Gedanken zum Jahresende

Nr. 699 – vom 29. Dezember 2019

I.

Es ist schon eine seltsame Zeit, diese wenigen Tage zwischen den Jahren; eine Zeit der absonderlichsten Besinnlichkeiten. Angeblich ist mal wieder etwas vergangen, zumindest fast. Noch angeblicher kommt etwas Neues auf uns zu. Eine Hoffnung im Futur. Man nennt es im Deutschen: Zukunft.

Ich hab mal die Zukunft zu ergoogeln versucht. Unter dem Stichwort „Zukunft” gibt es über 33 Millionen Internet-Seiten allein auf deutsch. Das Stichwort „Vergangenheit“ hat gerade mal elf Millionen deutsche Einträge. Die Zukunft bringt es also auf dreimal soviel. Woraus man folgern könnte, dass dreimal soviel Zukunft vor uns liegt, wie wir als Vergangenheit schon hinter uns gebracht haben, was auch nicht unbedingt tröstlich klingt, wenn man an bestimmte Vergangenheiten denkt.

Nebenbei: Die Gegenwart bringt es gerade mal auf knapp sieben Millionen Einträge; also rein googlemässig ist das nur die Bronzemedaille und das heißt: Die Gegenwart verrennt sich, wenn überhaupt, unter ferner liefen. Also kannste die Gegenwart echt vergessen.


II.

Was also ist mit der Zukunft? Nun ja, sie ist mehr das, was sie mal war. Hat doch ein Mädel namens Greta in diesem Jahr das gesellschaftliche Klima so brutal aufgeheizt, dass sich immer mehr Eisberge und Gletscher voll uncool verhalten und weinend vor sich hin schmelzen. Glücklicherweise gab und gibt es ausgewiesene Klima-Experten, die die Erderwärmung eigentlich ganz kuschelig finden und die sich schwer erregen über den angeblich um sich greifenden Gretinismus.

Mit so einem Experten bekam ich es neulich auch zu tun – unverhofft in einem Berliner Taxi. Der Fahrer chauffierte nicht nur mich, sondern echauffierte auch sich. „Also, det jlobbt doch keena“, wutschnaubte er auf mich ein. „Hamse jehört, die is jetzt der wichtichste Mensch uff de Welt.“

Er wedelte mit der Hand verächtlich in Richtung der Zeitung auf dem Nebensitz, die das Titelfoto des „Time“-Magazin zeigte: Greta als „Person of the Year“. „Irjendwann wird diese kleene Kröte Greta noch vom Papst heilichjesprochen als Jungfrau des Jahrhunderts.“

„Na ja“, versuchte ich den guten Mann zu beschwichtigen, „das Mädel ist gerade mal 16 Jahre alt, da sollte man ihr ihre Jungfräulichkeit nicht allzu schwer verübeln, auch wenn sie nach heutigen Maßstäben vielleicht etwas spät dran ist.“

„Aba ne jefährliche Kröte isse trotzdem“, insistierte der Kutscher.

Nach kurzer Überlegung gab ich zu bedenken: „Wäre sie wirklich eine Kröte, wie Sie sagen, dann müßte sie auch Jungfrau bleiben. Diese weiblichen Amphibien werden nämlich ohne Penetration befruchtet, genau genommen gar nicht. Nur ihr im Wasser schwimmender Laich wird besamt von den miteinander krötelnden Männchen.“

Was ich nicht sagte, sondern nur dachte: Vielleicht flutet so ein Spermium auch mal aus Versehen in ein Krötenweibchen hinein – so wie das einstmals der Jungfrau Maria passiert ist mit dem frei dahinströmenden heiligen Geist.

(Wenn Sie diese letzte au-weihnachtliche Bemerkung über die Gottesmutter als jungfrauen-feindlich empfinden sollten, dann ziehe ich sie hiermit sofort wieder zurück.)


III.

Bei dem Droschkenkutscher kamen meine amphibischen Besserwissereien nicht wirklich überzeugend an. „Aba jetzt machnse ma nen Punkt mit ihrem Quatsch. Ick seh doch, Sie sind ooch nich mehr der Jüngste. Und wenn ich det schon höre: Freidays for Fjutscha! Ständig solln wa uns Jedanken machen um irjendne Fjutscha.“

Er hielt kurz inne, weil er einen Fußgänger passieren lassen mußte. Das ermunterte ihn zu einer weiteren Tirade: „Und dann vonwejen dieser Blödsinn mit dem ökologischen Fußabdruck. Wat heeßtn da Fußabdruck, da kichre ick doch. Ick hintalass doch keene Fußabdrücke. Wenn ick zum Beispiel nach Mallorca will, dann loof ick doch nich. Ick flieje.“

„Zugegeben“, meinte ich, „das wird irgendwann auch etwas beschwerlich mit einer Mallorca-Reise zu Fuß. Spätestens ab Marseille muss man über’s Meer. Und nicht jeder von uns ist Jesus.“

„Ihnen fällt wohl zu allem ’n blöda Spruch ein“, meinte der Fahrer.

„Ist mein Beruf“, gab ich zu. „Aber ihre Sprüche waren ja auch nicht sehr viel besser.“

Das gab er sogar grinsend zu. Und der Ton wurde sofort etwas versöhnlicher: „Ick will ja bloß sajen, weil wa nun mal fast im jleichen Alter sind – also det mit der Fjutscha. Ständig solln wa uns um die Zukunft kümmern vonne Kinda und vonne Kindeskinda und vonne Kindeskindakinda. Wat brauchen die denn, bitte sehr, ne Zukunft? Wir ollen Leute kommen doch ooch ohne Zukunft aus.“


IV.

Nun habe ich als Buchholz’scher Sippenhäuptling auch selber Kinder und Kindeskinder auf meinem familiären Stammbaum hocken. Nur mit den Kindeskinderkindern hat es noch nicht so richtig geklappt. Und obwohl die noch gar nicht geboren sind, pumpe ich sie Tag für Tag an. Ich borge mir ihre Zukunft aus, die sie dann vielleicht nicht mehr haben. Wir alle tun das. Nach uns die Sintflut.

Nun wird es wohl noch eine Weile dauern bis die Menschheit endgültig baden geht. Bis dahin habe ich mich wahrscheinlich schon längst vom Acker gemacht, beziehungsweise unter den denselben. Aber damit mir noch ein bißchen Zukunft bleibt,  halte ich schon heute eine  gewisse vorsichtige Distanz zu meinen Enkel und Enkelinnen. Die sind ja nicht blöd, sonst wären es schließlich nicht meine.

Also, wenn ich mein eigener Enkel wäre in diesen Zeiten – wissend, dass meine Zukunft schwer auf der Kippe steht – dann hätte ich meinen dafür mitverantwortlichen Großvater, also mich, schon längst mit einem dezenten Arschtritt in irgendein Ozonloch hinaufbefördert. Und dazu würde der Kinderchor ertönen: „Mein Opa war ne Umweltsau.“ Natürlich würde dieser Song sofort mit dem Ausdruck des höchsten Bedauerns aus allen Erinnerungen gelöscht werden. Von wegen Satire! Alles muss man sich alter Mensch nun auch nicht singen lassen.

Sie sehen, so richtig sicher scheint mir die Zukunft wahrlich nicht. Und so wünsche ich Ihnen und mir für dieses neue Jahr nur eins:

Also, bloß nich zuviel Fjutscha!