Bekenntnisse

Frau Ardern, Frau Giffey und Frau Quatscheviel

Nr. 706 – vom 29. Januar 2023

I.
Wenn man sich von Berlin aus einmal quer durch den Erdball durchbohren würde, wäre am Ende des Tunnels nicht sehr viel Licht, aber dafür sehr viel Wasser. Wollte man auf diese Weise einen Ausflug nach Neuseeland planen, hätte man noch hunderte Kilometer zu schwimmen. Okay, warum erzähle ich Ihnen das? Nun, ich wollte nur aufzeigen, dass zwischen Berlin und Neuseeland keine noch so indirekte Verbindung besteht – außer in der ohnehin ziemlich abstrusen Phantasie eines Satirikers: In Neuseeland hat sich gerade die dort bislang regierende Frau, die Sozialdemokratin Jacinda Ardern, in Würde selber zurückgetreten. In Berlin haben wir auch eine amtsinhabende Frau auf höherem Gestühl, die ebenfalls eine Sozialdemokratin sein soll (zumindest wird es auf Wahlplakaten behauptet – auf denen der SPD wohlgemerkt; auf denen der Berliner CDU taucht sie bislang nicht auf. Aber das scheint nur eine Frage der kommenden Zeit zu sein).

Die Regierende Giffey ist es, von der ich hier rede, wobei „Regierende“ nicht ihr wirklicher Vorname ist. Ihren eigentlichen Vornamen Franziska finde ich hingegen fast so schön wie Jacinda. Nur endet damit auch mein sympathisierender Vergleich.


II.
Übrigens, wenn Sie mir den Abschweif gestatten (und wenn nicht, gestatte ich ihn mir eben selbst): Beide Namen kämen für mich in Erwägung, wenn ich noch eine Tochter bekommen würde. Das allerdings wäre im Fall meiner 80 Jahre, die Hälfte davon vasektomiert, nicht mehr so richtig wahrscheinlich. Die Tochter, die ich gerade zu Neujahr geschenkt bekam, ist eine Ur-Enkeltochter. Und sie bekam, ohne dass ich mein urpatriarchales Veto hätte einlegen können, den Namen Eline Amelie Buchholz, wobei mir der dritte Teil des Namens am vertrautesten klang. Trotzdem ein absolut schönes Mädel. Wirklich ganz der Ur-Opa! Willkommen, kleine Eline Amalie!


III.
Zurück zu einem dringlich wichtigeren Thema als es eine urväterliche Nachgeburt sein könnte – also zu der Berliner Stadt-Oberhäuptin. Die denkt nun überhaupt nicht an Rücktritt. Für sie ist diese freiwillige Amts-Aufgabe der Frau Ardern keine politisch notwendige Aufgabe, die sie zu plagiieren bereit wäre. In dem Punkt ist sie ohnehin konsequent: Plagiate lehnt sie grundsätzlich ab. Sie hat schließlich an anderen Problemen herumzudoktern.


IV.
Und warum sollte ich an solcher Herumdokterei irgendetwas satirisch herum zu maulen haben, auch wenn mein Synonym-Lexikon „herumdoktern“ übersetzt mit „herumpfuschen“ oder „ahnungslos etwas ausprobieren“. Und damit sind ja nicht nur Doktor-Arbeiten und ähnliche Abschreibungs-Unternehmen gemeint. Schließlich habe ich auch schon in sehr viel jüngeren Jahren in bestimmten Problembereichen vollkommen ahnungslos herum… nun ja, sagen wir mal… gefingert. Damals war ich vielleicht acht oder neun Jahre alt, als ich mich mit meiner ersten Jugendliebe ans gemeinsame Forschen machte. Elfriede hieß sie, ebenso minderjährig und nicht minder neugierig. Ein blondzopfiges, noch ziemlich knappbrüstiges Mädchen. Das, was wir heimlich kichernd improvisierten, war ein neugieriges, aber unbedarftes Höschen-kurz-mal-runter-Spiel. Doktorspiele nannte man das früher (für jüngere Leser: Das war in Zeiten vor Youporn).

Dieses Spielchen praktizieren noch heute spätpubertäre Politiker: „Zeigst du nur mir dein mickriges Fahrrad, zeig ich dir meinen dicken BMW.“ Es gibt Menschen in meiner Umgebung, die reagieren auf diese einseitige Potenz-Protzerei sehr pubertäts-feindlich: „Schon wenn ich die Giffey mit ihrer Auto-Besessenheit reden höre, kriege ich Pickel.“ Ja, sie ist wahrlich Ausschlag gebend.


V.
Um noch einmal auf meine Eingangs-Story zurückzukommen: Eine freiwillige Amts-Enteignung wie bei Jacinda Ardern, wäre bei Franziska Giffey unvorstellbar. Allein der Begriff „Enteignung“ ist für sie ein quasi-kommunistisches Pfuibaba. Sie habe, so verkündete sie jüngst, ganz für sich und damit absolut demokratisch, also einstimmig entschieden, dass mit ihr so ein anti-kapitalistischer Schmuddelkram nicht zu machen sei.

Nun gibt es unter Ihnen, meine Leserinnen und Leser, vielleicht einige, die sich mit den provinziellen Geschehnissen in dieser Mir-reicht’s-Hauptstadt glücklicherweise nicht so gut auskennen. Ihnen sei zum Verständnis (wahrscheinlich eher zum Nichtverständnis) der Berliner Wahlverhältnisse etwas erklärt, was Ihnen vielleicht nicht ganz glaubwürdig scheint.

Diese Stadt, immerhin Zentrale eines immerhin irgendwie demokratischen Staates, ist trotz aller gegenteiligen Bekundungen nicht von sogenannten Reichsbürgern dominiert, die blöderweise ihren Kaiser Wilhelm auf den Wahlzetteln nicht wiederfinden, weil der a) schon tot und b) deshalb nicht mehr wirklich wählbar ist (was preußische Kaiser ohnehin nie waren). Dennoch gab es bei der letzten Wahl in Berlin ein demokratisches Tiefflug-Desaster mit anschließendem Crash – und ich vermeide ausdrücklich alle Vergleiche mit jenem Fluch-Hafen, der diese Stadt für lange Zeit so erfolgreich ins internationale Gespräch gebracht hat. Das einzige, was in dieser letzten Berliner Nicht-Wahl halbwegs stimmgerecht glaubhaft erschien, war das Ergebnis einer Nebenwahl, die zum gleichen Zeitpunkt stattfand. Fast 60 Prozent der Menschen in Berlin, die abgestimmt hatten, votierten für den Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungs-Konzerne. Nun mussten sich die Parteien zu diesem unverschämt demokratischen Votum irgendwie verhalten. Entsprechend verhalten verhielten sich die meisten – von CDU und FDP und AfD mal abgesehen, die sich in ihrer Ignoranz des Volkswillens mal wieder total einig waren, wenn auch selbstverständlich unabhängig voneinander – „aaabsoooluuut unabhängig, das dürfen Sie mir glauben“, wie ein CDU-Sprecher aaabsoooluuut glaubwürdig versicherte. Die Haltung der Berliner Grünen war zwar irgendwie dafür, aber auch irgendwie nicht so richtig, sondern verharrend im Irgendwo. Die Berliner Linken waren eher begeistert und die Berliner SPD, mehrheitlich eher entgeistert. Alle drei mussten dann eine Koalition bilden.


VI.
Tscha, und nun muss die Wahl wiederholt werden. Sollte nicht das Votum von fast 60 Prozent der Berlinerinnen und Berliner für die Rückführung von a-sozialem Wohnungseigentum zugunsten sozialer Enteignung bei der Wahl eine gewisse Rolle spielen? Was erzählt uns nun die im Osten Deutschlands sozialisierte Regierende dazu?
„Ich habe einen Eid geleistet, für diese Stadt das Beste zu bewegen und auch Schaden von dieser Stadt abzuwenden.“ Soweit okay, sofern nicht die Abwendung eines eigenen Dachschadens gemeint ist. Aber jetzt kommt’s.

„Und wenn wir hier diskutieren über die Frage von Enteignung, dann würde ich ganz klar dazu sagen: Ich bin im Osten des Landes geboren, in einem anderen Land, in dem Enteignungen auch eine Dimension hatten.“ Sie könne es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, sich für Enteignungen einzusetzen.

Immerhin erfahren wir auf diese Weise, dass sie ein Gewissen hat. Was ja schon mal eine erfreuliche Mitteilung ist für eine Politikerin. Nun hat sie ein ganz besonders gutes Gewissen, das einst „im Osten des Landes“ geboren wurde. Deshalb ist ihr Gewissen gegen jede Enteignung gefeit. Okay, zuweilen muss man Kompromisse machen, wenn man sich zum Beispiel einen Doktor-Titel aneignen will, auch wenn man dabei notgedrungen die wissenschaftlichen Arbeiten anderer enteignen muss.

Aber das heißt ja nicht, dass man sich nun jede Fremdlektüre zu eigen machen muss. Gut, es gibt da eindeutige Parteitagsbeschlüsse der Berliner SPD, die eine Enteignung der Wohnungskonzerne immerhin in einem ferneren Irgendwann für möglich halten. Aber da muss selbst ich Frau Giffey auch mal recht geben. Wer ist schon so naiv daran zu glauben, dass Parteitagsbeschlüsse der SPD irgendetwas mit einer späteren Realität der sozialdemokratischen politischen Praxis zu tun hätten.

Nein, jene Fremdlektüre, der sich Frau Giffey als Ex-Ossin ddrotzig verweigert, um jedem weiteren Plagiats-Vorwurf vorzubeugen, hat den seltsamen Titel „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“. Kein Wunder, dass sie sich sträubt, dieses krypto-sozialistische Machwerk zur Kenntnis zu nehmen. Sind darin doch jene Grundsätze für eine mögliche Vergesellschaftung von Konzernen aufgeschrieben, auf die sich die Bürgerinitiative beruft. Die giffeysche Grundaussage zu ihrer politischen Prägung hätte eigentlich lauten müssen: „Ich bin im Osten des Landes geboren, in einem anderen Land, in dem so etwas wie ein Grundgesetz für mich überhaupt keine Dimension hatte.“


VII.
Tschuldjunk, wenn ich hier noch immer nicht zum Schluss komme. Mich überkommt gerade etwas, und zwar eine seltsame Assoziation. Für solche Themen-Verwirrnis, die scheinbar so gar nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun hat, bin ich nun mal schwer anfällig. Also: Gerade ist einer der besten und anständigsten deutschen Strafverteidiger gestorben, Heinrich Hannover. Bei vielen seiner Prozesse war ich als Reporter dabei und habe ihn mehrfach interviewt. Er hat mich gelegentlich mit Zuspruch ermuntert in meinem journalistischen und später kabarettistischem Treiben. Heinrich Hannover hat auch sehr liebevolle Gute-Nacht-Geschichten für Kinder geschrieben, die ich meinen eigenen Gören ab und zu vorgelesen habe. Von der Mücke Pieks war da die Schreibe und vom Pferd Huppdiwupp und von allerhand sonstigem seltsamen Getier und Gemensch. Beim Lesen einiger Nachrufe kam mir dabei eine von Heinrich Hannover wunderbar verhaßt geschilderte „Frau Quatscheviel“ in den Sinn.

Warum ich jetzt gerade im Zusammenhang mit der realen Frau Giffey auf diese irreale „Frau Quatscheviel“ komme? Seltsam… jetzt, wo Sie mich das fragen, frage ich mich das auch.