Bekenntnisse

Wie das Kabarett unter den Söder kam

Nr. 714 – vom 29. Juni 2023

I.
Einige von Ihnen, liebwerte Leserinnen, geschätzte Leser, werden sich vielleicht noch dunkel daran erinnern, dass einst das politische Kabarett meine abend- und jahresfüllende Profession war. Nun wurden seit Jahren und Jahrzehnten in den Modejournalen des Zeitgeistes immer mal wieder spaltenlange Nachrufe veröffentlicht, tief betrauernd, dass das politische Kabarett zu den längst Verblichenen gehöre und der sinnlose Versuch einer Wiederbelebung eher einer Leichenschändung gleichkäme. Irgendwann habe ich das eingesehen und tief beschämt ob meiner nekrophilen Neigungen dem schändlichen Treiben endgültig entsagt.

Deshalb finde ich es umso erstaunlicher, dass derzeit immer mehr politische Kabarettisten voll in Aktion sind mit tausenden und abertausenden von begeisterten Zujublern (plus einigen -innen). Da ruft zum Beispiel in Bayern, dem Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten, die Kabarettistin Monika Gruber zu einer Demonstration auf unter dem Motto „Stoppt die Heizungsideologie“, und es erscheint der gesamte bayrische Hofstaat. Um die Heizungs-Ideologie zu stoppen, heizten sie und ihr Bühnenpartner Hubert Aiwanger das Klima so sehr auf, dass der Klimawandel im Publikum nicht mehr zu leugnen war. Die Hitzköpfe auf und vor der Bühne wollten daraufhin zu einem gemeinsamen Kreuzzug aufbrechen, um die Demokratie zurückholen. Die ist uns bekanntlich abhanden gekommen, weil der höllische Habeck sie entführt und in seinem Heizungskeller versteckt hat. Respekt, Frau Gruber! Auf so eine irre witzige Performance muss man erst einmal kommen.

Auch andere frühere Kollegen und Kolleginnen haben unverhofft ganz neue komische Einfälle. Bruno Jonas hat zum Beispiel die „Öko-Diktatur“ entdeckt, gegen die es endlich anzukämpfen gilt. Für Lisa Eckhart sind Anti-Rassismus und Anti-Semitismus ein heuchlerisches Abfall-Produkt der Political Correctness. Und Lisa Fitz erklärt lautstark, dass man sie mittels Verschwörungstheorie „mundtot“ gemacht habe (ach, wenn’s doch so wäre!).

Inzwischen suchen auch kabarettistische Laiendarsteller den Bühnenerfolg. Zum Beispiel erweist sich Markus Söder als eine nicht untalentierte Rampensau. Auf der bundespolitischen Schaubühne versucht nun Friedrich Merz ihm nachzueifern. Nun ja, er übt noch. Vorerst holpert und stolpert er sich noch etwas mühsam über die Bretter, die er eigentlich vorm Kopf trägt.

Beiden gemeinsam ist der bewundernswerte Mut, mit dem sie sich furchtlos-furios aufbäumen – zum Beispiel gegen den pandemisch durch die deutschen Gauen wuchernden Gender-Virus, den irgendwelche wilden Weiber in die Welt gesetzt haben. Da gibt es doch tatsächlich Frauen, die perverserweise im allgemeinen Sprachgebrauch nicht mehr verschwiegen werden wollen, sondern die fordern, als existente Wesen mitbenannt zu werden. Zum Schreien komisch! Allein der Gedanke, dass man die deutsche Sprache etwas entmännlichen könnte, bringt die Anti-Genderisten derart in geschlechtliche Erregung, dass sie beim Oralverkehr mit ihrem Publikum immer heftiger in platte Pointen-Ekstase geraten. Und ihre Themenpalette ist noch sehr viel breiter. Da gibt es kein Tabu, vor dem sie zurückschrecken. Gnadenlos geißeln solche Nachwuchs-Komiker die links-grün versiffte Verbots-Ideologie und die Gesinnungs-Diktatur, unter der wir tagtäglich zu ächzen haben. Das ist Gesellschaftskritik der härtesten Sorte.

Doch bei aller Bewunderung für die mannhaft heroische Courage dieser großen Kleinkünstler sollte nicht verschwiegen werden, dass ihre Texte, die die Massen zum Johlen bringen, keine Eigen-Fabrikate sind. Die hat ihnen ein Ghostwriter weitgehend vorgeschrieben, ein satirisches Ausnahmetalent namens Dieter Nuhr. Seine Themen und Thesen liefern auch für Söder und Merz die passenden Vorlagen für deren Auftritte.

Da geht es in ständiger Wiederholung um die immer gleichen Sujets, die von Nuhr für seine Kundschaft mundgerecht zubereitet werden: Die Grünen, die uns statt des Autos Lastenfahrräder und chinesische Rikschas samt Kulis vor die Tür knallen wollen. Hahaha! Die feministischen Geisteskrank:innen, die uns die deutsche Sprache bis zur Unkenntlichkeit vergendern. Hihihi! Die männlichen Trans-Verbrecher, die mit einer gefaketen weiblichen Geschlechtsidentität massenhaft in exklusiven Frauensaunen herumjiepern wollen. Hohoho!

Undundund. Die Fleisch-Verächter, die uns noch die letzte Salamischeibe von der Stulle klauen wollen. Die Fridays-for-Future-Gretas, gegen deren Supermacht jede Altmänner-Sottise erlaubt sein muss. Das Rede- und Denkverbot, das einem Vordenker wie Nuhr nicht mehr erlaubt, öffentlich zu sagen, was er zu sagen hat – und der dann gefühlt jede halbe Stunde in irgendeinem ARD-Programm auf Sendung ist, um das zu sagen, was er nicht mehr sagen darf.

All das wird dann leicht abgeändert von Söder und Co. wiedergekäut. Doch die Konkurrenz schläft nicht. Schon lange vor den christdemagogischen Entertainern haben offenbar die Polit-Performer von der AfD dem Nuhr die Pointen von den Lippen abgelesen und sie so erfolgreich vermarktet, dass ihnen das Publikum in Massen zuströmt. Da kommen Söder und Merz nun leider zu spät. Das Publikum merkte mittlerweile, dass sich ihm eine ganz neue Wahl eröffnet – nämlich die zwischen der Original-AfD und den AfD-Nachahmern von CDU und CSU. Und so ein schlimmer Verein, wie immer behauptet, kann die AfD doch wohl nicht sein, wenn die Parteien mit dem großen C im Namen ihr so sehr nacheifern.

Doch Friedrich Merz benennt uns in seinem Satire-Newsletter die eigentlichen Schuldigen des AfD-Erfolgs, nämlich die öffentlich-rechtlichen Gender-Diktatoren: „Mit jeder gegenderten Nachrichtensendung gehen ein paar Hundert Stimmen mehr zur AfD.“ Nun würde ich zu gerne wissen: Hat Dieter Nuhr vielleicht auch das Urheberrecht an dieser Pointe?
 
II.
Nebenbei: Es gab in meiner kabarett-aktiven Zeit des öfteren Menschen, die mich nach den Vorstellungen ins Verhör nahmen: „Warum betreiben Sie eigentlich immer noch Ihr satirisches Gewerbe? Die Real-Satire, die uns in der Politik tagtäglich geboten wird, ist doch nicht mehr zu überbieten.“ Ich nahm das schweigend hin, weil ich zu höflich war, um diesen Leuten zu sagen, dass sie einen sehr niedrigen Anspruch an Satire hätten.

An dieser meiner Meinung zur vermeintlichen Real-Satire hat sich bis heute nichts geändert, auch wenn der obige Text vielleicht einen anderen Eindruck erweckt. Deshalb wie üblich mein Rat: Bitte missverstehen Sie mich richtig!